Carbon Farming & regenerative Landwirtschaft – Chancen, Kosten und Realität
Carbon Farming und regenerative Landwirtschaft: Zwischen Hype und Hoffnung
Einleitung
Carbon Farming, die gezielte Bindung von Kohlenstoff im Boden, gilt als zukunftsweisender Baustein im Kampf gegen den Klimawandel. Doch was steckt wirklich hinter dem Konzept? Und wie unterscheidet es sich von der viel diskutierten regenerativen Landwirtschaft? Diese Fragen beantwortet der ehemalige Landwirt und heutige Berater René Rempt im Interview mit dem Agrarmarktpodcast (Folge 144-2) sowie in seinem Fachartikel „Carbon Farming – aber richtig“ (Agrarzeitung, Mai 2025).
Was ist Carbon Farming?
Carbon Farming beschreibt landwirtschaftliche Praktiken, die dazu beitragen, atmosphärisches CO₂ langfristig im Boden zu speichern. Im Zentrum steht der Aufbau von organischem Bodenkohlenstoff (SOC – Soil Organic Carbon), insbesondere in der stabilen Form MAOC (mineralassoziierter organischer Kohlenstoff). Laut René ist dies ein langfristiger Prozess, der eng mit Bodeneigenschaften wie Ton- und Kalkgehalt zusammenhängt.
Ein offizieller Zertifizierungsrahmen befindet sich derzeit noch in der Entwicklung. Die DIN SPEC 3609 gilt als erster konkreter Versuch, einheitliche Standards für Probenahme und Bilanzierung des organischen Kohlenstoffaufbaus und der Kohlenstoffemissionsveränderungen zu etablieren. „Bis heute gibt es meines Wissens keine Firma, die diesen Standard schon erfüllt“, sagt René im Podcast. Stattdessen ist der Markt für CO₂-Zertifikate bislang weitgehend „grau“ organisiert – mit Risiken für Greenwashing.
Komponenten und Prinzipien des Carbon Farming
Die wirksame Bindung von Kohlenstoff im Boden basiert auf mehreren Prinzipien:
- Reduzierte Bodenbearbeitung (No-Till): Vermeidet Mineralisierung und erhält Bodenstruktur. Studien zeigen SOC-Zuwächse zwischen 5 und 30 % je nach Standortbedingungen [Quelle: Rempt 2025].
- Zwischenfrüchte & Untersaaten: Kombination verschiedener Pflanzenarten fördert Wurzelexsudate, verbessert Durchlüftung und stabilisiert das C/N-Verhältnis. Leguminosen wirken zudem als „grünes Startkapital“ in der Umstellung.
- Integration von Tieren: Weidemanagement intensiviert natürliche Stoffkreisläufe, liefert Exkremente und aktiviert Bodenmikroben – entscheidend für die MAOC-Bildung.
„Ich rede nicht mehr klassisch vom Humus, sondern eher vom SOC“, betont René. Der Unterschied zwischen partikulärem Kohlenstoff (POC) und langfristig stabilem MAOC sei zentral für glaubwürdiges Carbon Farming.
Regenerative Landwirtschaft: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Während Carbon Farming auf Kohlenstoffsequestrierung fokussiert ist, geht die regenerative Landwirtschaft weiter: Sie strebt eine ganzheitliche Erneuerung der Böden und der Agrarlandschaft an. Dazu zählen Maßnahmen wie Heckenanlagen, Gewässerintegration, Biodiversitätsförderung und Kooperation mit Naturschutzorganisationen.
Der Begriff ist allerdings nicht klar definiert. Laut René lassen sich sechs Grundprinzipien benennen – beginnend mit einem „Mindset-Shift“, also einem Umdenken, bevor überhaupt technische Maßnahmen wie Direktsaat erfolgen. Viele Maßnahmen überschneiden sich mit dem Carbon Farming, das als Unterkategorie der regenerativen Landwirtschaft verstanden werden kann.
Wirtschaftlichkeit & CO₂-Zertifikate
Ein häufiger Kritikpunkt ist die Wirtschaftlichkeit. Tatsächlich entstehen in der Umstellungsphase zusätzliche Kosten für Zwischenfrüchte, Mikronährstoffdüngung und erweiterte Analysen. Gleichzeitig sinken der Dieselverbrauch (bis zu 60 %) und die Schlepperstunden (bis zu 30 %), was langfristig Personalkosten senkt.
René nennt CO₂-Zertifikate als mögliche Kompensation: „Das dient dazu, die Mehrkosten der Umstellung zu decken.“ Projekte wie Klim arbeiten derzeit an maßnahmenbasierten Ansätzen, um Kosten zu senken und Fairness zu gewährleisten. Dennoch sei Vorsicht geboten: Zertifikate sollten nur als Ergänzung gesehen werden, nicht als Primäreinnahmequelle.
Praktische Umsetzung & Herausforderungen
Die Umstellung braucht Zeit, Geduld – und Expertise. Die ersten Jahre erfordern viel Beobachtung und Anpassung. Fehler können auftreten, etwa durch falsche Zwischenfruchtwahl oder unzureichende Nährstoffversorgung. Besonders die Bodenbiologie braucht bis zu acht Jahre, um sich zu stabilisieren. Regenwürmer, insbesondere der Tauwurm, gelten hier als Schlüsselfaktor für Bodengesundheit.
René berichtet von messbaren Vorteilen schon nach wenigen Jahren, etwa besserer Befahrbarkeit im Frühjahr oder geringerem Unkrautdruck. Dennoch bleiben gewisse Kulturen wie Kartoffeln oder Mais technisch schwierig in No-Till-Systemen. Auch der Umgang mit Glyphosat ist ein ethisch und fachlich sensibles Thema, über das unterschiedlich diskutiert wird.
Politische & strukturelle Rahmenbedingungen
Ein vielversprechender Hebel ist die politische Förderung. In Wasserschutzgebieten zahlen einige Behörden bereits 160 € für Direktsaat und 60 € zusätzlich für Flugverzicht – zusammen 220 €, die viele Umstellungskosten kompensieren können. Die GAP-Reform 2027 könnte zusätzliche Anreize bieten, sofern Umweltleistungen weiter honoriert werden.
Laut René zeigt die EU deutliches Interesse an standardisierten Carbon-Farming-Ansätzen. Auch wenn ESG-Themen international unter Druck geraten, sieht er langfristig Chancen: „Das System ist einfach wassersparender – und damit zukunftsfähig.“
Fazit
Carbon Farming bietet eine ernstzunehmende Perspektive für zukunftsorientierte Landwirtschaft. Es ersetzt keine klassische Betriebswirtschaft, aber ergänzt sie sinnvoll – insbesondere in Kombination mit regenerativen Ansätzen. René Rempt bringt es im Podcast auf den Punkt: „Wer einmal gesehen hat, wie Boden fallen kann, der will nicht zurück.“
Quellen & weiterführende Informationen
- Agrarmarktpodcast Folge 144-2: Deep Dive Carbon Farming mit René Rempt
- Rempt, René (2025): Carbon Farming – aber richtig. Agrarzeitung, Ausgabe 22, 30. Mai 2025
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der Unterschied zwischen Carbon Farming und regenerativer Landwirtschaft?
Carbon Farming zielt primär auf die CO₂-Bindung im Boden ab, während regenerative Landwirtschaft einen umfassenderen Ansatz verfolgt, der auch Biodiversität, Wassermanagement und Bodengesundheit umfasst.
Wie lange dauert es, bis sich Carbon Farming wirtschaftlich rechnet?
Die Umstellung dauert je nach Standort und Ausgangssituation fünf bis zehn Jahre. In dieser Zeit entstehen Zusatzkosten für Zwischenfrüchte und Bodenanalysen, jedoch sinken langfristig Diesel- und Arbeitskosten erheblich.
Können alle Böden für Carbon Farming genutzt werden?
Fast alle – mit Ausnahmen: Besonders Moorstandorte sind ungeeignet, da sie durch Kalkung eher Humus verlieren als aufbauen. In Marsch- und Staunassstandorten ist es schwieriger, aber nicht unmöglich.
Welche Rolle spielt Glyphosat im Carbon Farming?
Glyphosat wird im Rahmen von No-Till-Strategien teils als Ersatz für den Pflug genutzt. Dies ist jedoch umstritten und wird sowohl ökologisch als auch gesellschaftlich kontrovers diskutiert.
Sind CO₂-Zertifikate eine verlässliche Einnahmequelle?
Der Markt ist aktuell noch in der Entwicklung. Systeme wie die DIN SPEC 91481 bieten erste Standards. Bis zur Etablierung transparenter Modelle sollten Zertifikate als Zusatz und nicht als primäre Finanzierungsquelle betrachtet werden.